Science News 24: Nutri-Score: Welche Bedeutung hat die neue Kennzeichnung?
In der heutigen Zeit, in der die Lebensmittel- und Getränkeauswahl immer größer wird, verliert man als Konsument*in schnell den Überblick. Ohne langwieriges Vergleichen der Zutatenlisten und Nährwerttabellen kann oft nur schwer beurteilt werden, welche Produkte die gesündere Wahl sind. Sogenanntes „Front-Of-Pack-Labelling“ – eine vereinfachte Nährwertkennzeichnung auf der Verpackungsvorderseite – soll einen schnellen Vergleich verschiedener Produkte ermöglichen. Der Nutri-Score ist ein solches Front-Of-Pack Kennzeichnungssystem, das im Jahr 2017 in Frankreich ins Leben gerufen wurde.
Das Nutri-Score Bewertungssystem
Basierend auf einem speziellen Algorithmus werden für bestimmte Nähr- und Inhaltsstoffe Punkte vergeben. Energie, Gesamtzucker, gesättigte Fettsäuren und Natrium erhöhen die Gesamtpunktezahl. Proteine, Ballaststoffe sowie der Anteil an Obst, Gemüse und Hülsenfrüchten verringern die Gesamtpunktezahl. Die Berechnung bezieht sich dabei immer auf 100 g oder 100 ml eines Lebensmittels oder Getränks und erfolgt produktgruppenspezifisch.
Je niedriger am Ende die Gesamtpunktezahl eines Produktes, desto besser ist das Nährwertprofil und damit die Nutri-Score Bewertung. Optisch wird diese durch Buchstaben (A, B, C, D, E) kombiniert mit entsprechenden Ampelfarben (dunkelgrün, hellgrün, gelb, orange, rot) dargestellt.
Die Bedeutung von Front-Of-Pack-Labelling
Die Wirksamkeit von Front-Of-Pack-Labelling wurde bereits im Rahmen verschiedener Forschungsarbeiten untersucht. Eine Analyse von 65 Studien zu Front-Of-Pack Kennzeichnungssystemen zeigte beispielsweise, dass diese zwar mit gesünderen Lebensmittelkäufen in Verbindung gebracht werden können, das Ausmaß der Verbesserung jedoch sehr gering ist. Die gesundheitlichen Auswirkungen konnten außerdem nur modelliert und noch nicht beobachtet werden. Auch ein Bericht der Forschungsstelle der Europäischen Kommission unterstreicht, dass bis jetzt keine empirischen Beweise vorliegen, die einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Front-Of-Pack-Labelling und einer besseren Gesundheit zeigen. Der Nutri-Score erwies sich allerdings im Vergleich zu anderen Kennzeichnungssystemen als für Verbraucher*innen am einfachsten verständlich.
Leicht verständlich! Aber wie verlässlich?
So klar und einfach Front-Of-Pack Kennzeichnungssysteme wie der Nutri-Score auf den ersten Blick und in der Darstellung der Befürworter scheinen mögen – ohne viel Hintergrundwissen sind sie weder ausreichend nachvollziehbar noch eine wirklich verlässliche Hilfe bei der Produktauswahl. Diese Kritikpunkte gilt es daher zu diskutieren:
Beim Nutri-Score werden bestimmte Nährwertfaktoren überbewertet, während andere wichtige Faktoren und gesundheitsrelevante Produktbestandteile unbeachtet bleiben. So werden beim aktuellen Berechnungsmodell beispielsweise Süßstoffe nur in Getränken, jedoch nicht in Lebensmitteln, berücksichtigt, obwohl immer mehr Studienergebnisse auf Gesundheitsrisiken durch regelmäßigen Süßstoffkonsum hindeuten. Auch andere unvorteilhafte Zusatzstoffe wie z. B. Farbstoffe und Konservierungsmittel werden nicht bewertet. Auf der anderen Seite werden gesundheitsfördernde Bestandteile wie z. B. sekundäre Pflanzenstoffe und Probiotika nicht miteinbezogen.
Die Portionsgröße bleibt unberücksichtigt. Der Nutri-Score wird – unabhängig von der vorgesehenen bzw. üblicherweise konsumierten Portionsgröße – immer für 100 g bzw. ml berechnet. Allerdings wird z. B. eine Tiefkühlpizza in deutlich größeren Mengen verzehrt als etwa Öl oder Ketchup.
Der Nutri-Score dient ausschließlich innerhalb einer Produktgruppe (z. B. Joghurtprodukte) als Vergleichs- und Orientierungskriterium, ist jedoch nicht produktgruppenübergreifend anwendbar.
Eine genaue Bewertung eines Lebensmittels oder Getränks ist nur mit der Kenntnis der genauen Rezeptur möglich, weshalb im Wesentlichen nur die Produzenten selbst in der Lage sind, den Nutri-Score zu berechnen, während er für Verbraucher*innen oft nicht ausreichend nachvollziehbar ist.
All diese Intransparenzen können Konsument*innen dazu verleiten, grün gefärbten Etiketten zu viel Vertrauen entgegenzubringen und Produkte mit roter Kennzeichnung zu meiden. Dies könnte zu einer unausgewogenen Ernährungsweise führen, bei der essenzielle Nährstoffe fehlen.
Zusammenfassung und Ausblick
Prinzipielles Ziel des Nutri-Scores ist es, Konsument*innen eine Orientierung beim Kauf von Lebensmitteln und Getränken zu verschaffen und eine gesundheitsförderliche Auswahl zu erleichtern. Zusätzlich soll die Kennzeichnung einen Anreiz für die Lebensmittelindustrie schaffen, durch Reformulierungen ihrer Rezepte gesündere Produkte herzustellen.
Der Algorithmus des Nutri-Scores wird derzeit überarbeitet und aktualisiert. Durch Änderungen bei der Bewertung des Zuckergehalts, des Salzgehalts, des Ballaststoffanteils, des Proteingehalts sowie Änderungen bei bestimmten Produktgruppen und Komponenten werden zwar bereits bessere Übereinstimmungen mit den aktuellen Ernährungsempfehlungen erreicht als mit der früheren Berechnungsweise, nach wie vor wird aber nur ein Bruchteil aller Aspekte der Lebensmittelqualität berücksichtigt. Für eine wirklich objektive Front-Of-Pack Kennzeichnung sollte jedenfalls eine breitere Auswahl an einbezogenen Variablen getroffen werden als es beim Nutri-Score im Moment der Fall ist.
Wie die neuesten Daten zeigen, weist der Nutri-Score nach wie vor bedeutsame Schwächen auf und ist daher in der aktuellen Form abzulehnen. Deshalb ist es wichtig, dass sich Österreich im Sinne des nationalen Konsument*innenschutzes dafür einsetzt, dass auf europäischer Ebene keine Entscheidungen für ein Kennzeichnungssystem getroffen werden, die auf einer schwachen und unzureichenden Datenlage basieren. Dies gilt umso mehr, als sich die ohnehin schwachen wissenschaftlichen Belege für den Nutri-Score auf den alten und nicht auf den neuen Algorithmus beziehen und damit ungültig werden. Dementsprechend muss das Ziel sein, der Entscheidung für eine europaweit geltende FOP-Kennzeichnung genügend Zeit zu gewähren, um weitere und bessere Forschungsarbeiten in die Überlegungen zu integrieren.
Science News Download:
Unsere gesamte wissenschaftliche Analyse (Update 05.2023) gibt es hier zum Download: www.sipcan.at/wissenschaft
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