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Adipositastherapie in Österreich stark ausbaufähig

Der neue Adipositas Hilfe-Kompass unterstützt Betroffene

Presseinformation, 29.02.2024


Am 4. März ist World Obesity Day. Die Schätzungen zu den steigenden Prävalenzzahlen bei Kindern und Erwachsenen sowie den damit verbundenen gesundheitsökonomischen Kosten erfordern dringender denn je ein adäquates Therapieangebot für betroffene Menschen. Die Situation diesbezüglich in Österreich ist in vielen Bereichen nach wie vor stark verbesserungswürdig, so lautet das Ergebnis einer aktuellen Erhebung von SIPCAN. Der neue Adipositas Hilfe-Kompass von SIPCAN soll Hilfesuchenden einen Überblick verschaffen und den Zugang zu einer geeigneten Therapie stark verbessern.



Ein übergewichtiges Mädchen mit Apfel und Burger vor der Österreich Landkarte

 

Übergewicht und Adipositas gehören zu den größten Gesundheitsproblemen unserer Zeit. Die derzeitigen Schätzungen, die auch im Rahmen des jährlichen World Obesity Days am 4. März beziffert werden, verheißen nichts Gutes: Bis 2035 werden 1,9 Milliarden Menschen weltweit von Adipositas betroffen sein, oder anders gesagt: eine Person von vier. Jede*r Zweite wird übergewichtig sein. Die Zahl der adipösen Kinder wird (von 2020 bis 2035) um 100 % zunehmen, das heißt sich verdoppeln. Neben individuellen Risiken durch erhöhte Morbidität und Mortalität bedeutet dieser Anstieg, der auch in der europäischen Region mittlerweile epidemische Ausmaße annimmt, enorme Herausforderungen für die öffentliche Gesundheit sowie das Gesundheitssystem und wird damit immer mehr zu einem gesamtgesellschaftlichen Problem. Die globalen ökonomischen Kosten aufgrund von Übergewicht und Adipositas werden bis 2035 auf 4.000 Milliarden Euro jährlich geschätzt. Das ist vergleichbar mit den weltweiten Auswirkungen von Covid-19 im Jahr 2020 und entspricht dem Bruttoinlandsprodukt Österreichs von rund 9 Jahren.

 

Auch Österreich ist vorne dabei: Die Prävalenzen liegen aktuell bei den Erwachsenen bei 54,3 % (Übergewicht und Adipositas) bzw. 20,1 % (Adipositas). Unter den 10- bis 19-Jährigen sind 25,8 % übergewichtig (bzw. adipös) und 7,8 % adipös, bei den 5- bis 9- jährigen Kindern sind es 28,1 % bzw. 10,5 %. Effiziente Therapieangebote für alle Altersgruppen sind daher notwendiger denn je. Um einen Überblick zur aktuellen Situation zu schaffen, führt das vorsorgemedizinische Institut SIPCAN seit 2005 regelmäßig eine bundesweite Erhebung zum Therapieangebot durch.

 

Deutlicher Verbesserungsbedarf beim österreichischen Therapieangebot

Die aktuelle Erhebung, in die 126 Institutionen eingeschlossen wurden, ergab, dass die Therapiesituation sowohl für betroffene Kinder und Jugendliche als auch für Erwachsene immer noch als verbesserungswürdig einzustufen ist. Die Befragung anhand eines umfangreichen online Fragebogens zeigte: In einem Großteil der Einrichtungen (86,5 %) werden zwar Erwachsene betreut, aber nur zwei von drei bieten eine Therapiemöglichkeit für Kinder und Jugendliche (66,7 %) an. Eine Ernährungstherapie wird in 8 von 10 teilnehmenden Institutionen (82,5 %) umgesetzt. Die beiden weiteren zentralen Säulen der Adipositastherapie, die Verhaltens- und Bewegungstherapie, werden aber nur in etwa jeder dritten Einrichtung (35,7 bzw. 30,2%) angeboten. Am häufigsten werden die Betroffenen von Diätolog*innen (68,3 %) und Ärzt*innen (55,6 %) sowie von Psycholog*innen (42,9 %) betreut. Psychotherapeut*innen (25,4 %) sowie Bewegungstrainer*innen (21,4 %) und Sportwissenschafter*innen (15,1 %) spielen eine untergeordnete Rolle. „Obwohl gerade in der Therapie der Adipositas eine interdisziplinäre Zusammenarbeit gut ausgebildeter Berufsgruppen eine Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung ist, findet diese nicht einmal in zwei von drei Einrichtungen (60,3 %) statt. Bei unserer Erhebung 2018 traf dies noch auf 74,6 % zu“, gibt Studienleiter Dr. Manuel Schätzer von SIPCAN zu bedenken.

 

Die Qualitätskontrolle ist nach wie vor mangelhaft

Großer Handlungsbedarf besteht auch hinsichtlich der Arbeit nach aktuellen wissenschaftlichen Vorgaben. „Nicht einmal zwei von drei Einrichtungen (59,5 %) geben an, nach den evidenzbasierten Leitlinien der Fachgesellschaften zu arbeiten, Tendenz sinkend. 2018 traf dies immerhin noch auf rund 7 von 10 Institutionen zu (68,8 %)“, ermahnt der Internist und Vorstand von SIPCAN, Univ.-Prof. Prim. Dir. Dr. Friedrich Hoppichler. Als bedenklich muss auch eingestuft werden, dass nur 70,6 % die Therapieergebnisse evaluieren. Das heißt: Drei von zehn Einrichtungen kontrollieren den Therapierfolg nicht (29,4 %). „Das Einhalten der wissenschaftlichen Qualitätskriterien ist die Basis für den Therapieerfolg und eine langfristige Besserung der gesamten Adipositas Problematik“, so Hoppichler. Positiv zu bemerken ist, dass immerhin drei von vier Einrichtungen (76,2 %) ihren Patient*innen nach Abschluss der Therapie die Möglichkeit einer Nachbetreuung anbieten. Auch dies ist für einen langfristigen Behandlungserfolg bei einer chronischen Erkrankung, wie auch die Adipositas klassifiziert ist, von großer Wichtigkeit.

Was noch auffällt, ist der Trend in Richtung Einzeltherapie: So wird diese in 89,7 % der Einrichtungen angeboten, Gruppentherapie nur in 36,5 %. Ein Großteil der Therapien kann vom Zeitpunkt her auch aus diesem Grund flexibel begonnen (83,3 %) und auch die Dauer individuell angepasst werden (81 %), was ebenfalls positiv einzustufen ist.

 

Die öffentliche Finanzierung muss forciert werden

Ein Grund, warum die Adipositastherapie in Österreich immer noch als verbesserungwürdig eingestuft werden muss, ist sicherlich auch die Frage der Finanzierung. Diese verlagert sich zunehmend in den Privatbereich. So geben drei von vier Einrichtungen (75 %) mittlerweile an, dass die Kosten für die Therapie unter anderem aus den Taschen der Betroffenen gezahlt werden müssen. 2005 lag dieser Anteil noch bei 55 % und 2018 bei 72 %. Angesichts der gesundheitsökonomischen Auswirkungen wird bereits seit langem von Fachexpert*innen gefordert, den Anteil an von der öffentlichen Hand bzw. von Krankenkassen geförderten Institutionen zu erhöhen. Wie die aktuelle Erhebung zeigt, ist jedoch dieser Anteil von 57 % im Jahr 2005 auf aktuell 30 % stark gesunken (2018: 39 %). „Es ist bekannt, dass besonders Personen aus den unteren Einkommensschichten gefährdet sind an Übergewicht und Adipositas zu erkranken. Daher ist die Entwicklung, dass Therapieangebote zunehmend auch privat bezahlt werden müssen, als besonders kontraproduktiv einzustufen“, so Studienleiter Schätzer.

 

Der neue Adipositas Hilfe-Kompass unterstützt Betroffene, Angehörige und Schulärzt*innen

Die im Rahmen der Studie erfassten Institutionen und ihre Therapieangebote sind auch Grundlage für eine neue online Datenbank – den so genannten Adipositas Hilfe-Kompass. Er soll Betroffenen und Angehörigen einen guten Überblick über nahe Anlaufstellen und Therapiemöglichkeiten verschaffen und damit auch den Therapiezugang erleichtern. „Es ist uns ein großes Anliegen, dass z. B. auch Schulärzt*innen im Rahmen ihrer wertvollen Aufklärungsarbeit in Schulen auf diese Datenbank aufmerksam machen können. Daher können Schulen über die SIPCAN Website kostenfrei Informations-Karten für die Weitergabe an Betroffene und deren Familie bestellen“ , ergänzt Ernährungswissenschafterin Juliana Bhardwaj von SIPCAN, die die Erhebung durchgeführt hat.

Therapieanbietende Institutionen können sich jederzeit in dieses dynamische Tool eintragen und ihre Angebote auch aktualisieren.


Links zum Adipositas Hilfe-Kompass:

 


Kontakt:

Mobil: 0664/13 82 258

 

 


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Anhang: Adipositas 1x1

 

Adipositas wird von der Weltgesundheitsorganisation als chronische Krankheit anerkannt und ist auch im Diagnoseklassifikationssystem ICD zur Internationalen Klassifikation von Krankheiten enthalten. Der Begriff Adipositas bezeichnet eine krankhafte, über das Normalmaß hinausgehende Vermehrung des Körperfetts (Erwachsene BMI ab 30 k/m2, Kinder und Jugendliche über der 97. BMI-Perzentile), welche einen wesentlichen Risikofaktor und Promotor für diverse chronische Erkrankungen wie Typ 2 Diabetes mellitus, orthopädische Probleme, verschiedene Krebsarten und kardiovaskuläre aber auch psychische Erkrankungen darstellt.

 

Als Ursachen für Adipositas gelten insbesondere lebensstilbedingte, umweltbedingte, hormonelle und genetische Faktoren. Der „moderne, westliche Lebensstil“, der von einer hohen Energieaufnahme durch die ständige Verfügbarkeit stark fett- und zuckerhaltiger Nahrung sowie große Portionsgrößen bei gleichzeitig niedrigem Energieverbrauch durch geringe körperliche Aktivität geprägt ist, ist als Grund für die Entstehung und Aufrechterhaltung der Krankheit besonders hervorzuheben.

 

Für die erfolgreiche Behandlung stark übergewichtiger bzw. adipöser Patient*innen wird eine Kombination aus Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapie empfohlen. Auch medikamentöse Behandlungen oder chirurgische Eingriffe können unter bestimmten Voraussetzungen zum Einsatz kommen. Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedener Professionen ist daher hilfreich und Bestandteil einer leitlinienkonformen Therapie. Die Ziele der Therapie sind eine langfristige Senkung des Körpergewichts, Reduktionen im Hinblick auf Risikofaktoren, Erkrankungen und Mortalität sowie eine Steigerung der Lebensqualität. Für einen nachhaltigen Therapieerfolg ist eine langfristige Umstellung des Lebensstils nötig, weshalb nur eine patient*innenzentrierte und langfristige Betreuung zielführend ist.

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